Zirkusballade

Als ich klein war, wollte ich zum Zirkus gehen
Auf Elefantenzähnen stehn, vom Trapez die Welt besehn
Doch die Eltern fanden das nicht toll
Und so wurde dann ein braves Mädchen aus mir
Das die Hausaufgaben macht, über alle Witze lacht.
Doch die Neigung zum Risikosport ist mir geblieben.
Sie ist der Grund dafür, dass ich ab und zu Dinge tue,
über die ich selbst nur den Kopf schütteln kann.
Und manchmal frag ich mich dann:

Warum musst du bloß immer die Straße verlassen
Dich aufs Glatteis begeben, in Wirrnis verweben?
Warum kannst du nicht einfach das Spielen mal lassen,
geradeaus leben, nach Ruhe streben?

Ich hatte nen Job, der war beinah ideal
Unkündbar, Finanzlage gut
Doch dann kam was Neues in Sicht, und es pochte
Das Risikosportlerin-Blut.
Ich gab alles auf, und jetzt steh ich da
Und hab Angst vor dem eigenen Mut.
Neue Stadt, neue Arbeit, geht das alles gut?

Warum…

Ich hatte nen Mensch, der war beinah ein Freund
Zwischen uns war ein seidener Draht
Doch ich wollte zuviel, wollt ihn ganz und gar kennen
Obwohl er mich nicht darum bat.
Ich trat ihm zu nah, und jetzt steh ich da
Und verfluche die eigne Courage.
Wird er mich jetzt hassen, die Freundschaft verlassen?

Warum…

Wenn ich groß bin, werde ich zum Zirkus gehen
Auf Elefantenzähnen stehn, vom Trapez die Welt besehn.
Und dann hat die Sportlerseele endlich wirklich Grund zum Beben,
muss nicht Neues ständig suchen und in Wirrnis sich begeben.
Vielleicht findet sie dann schließlich ihre Ruh

Charlotte Bé, 1999